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Wer Augen hat zu sehen, entdeckt auch hinter seinem verweltlichten Bruder, dem Weihnachtsmann, den jung gebliebenen, alten, heiligen Bischof mit seiner stets aktuellen Botschaft. Denn die hat sich in Legende und Brauchtum erhalten. Heilig ist Nikolaus übrigens nur noch wenigen, auch im kirchlichen Raum. Der Bischof hat schlechte Karten, denn sein Fest - und damit auch seine Popularität - ist der Reform des Römischen Kalenders zum Opfer gefallen. 1969 strich Papst Paul VI. kurzerhand den Gedenktag am 6. Dezember als allgemein gebotenen Feiertag!


Aber: Was nicht mehr geboten ist, ist deshalb noch lange nicht verboten! Nikolaus wird immer noch als Heiliger verehrt, auch wenn sein Bild übertüncht wird durch die Kommerzialisierung als Geschenke-Onkel.


Wir wissen heute, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit einen Nikolaus als Bischof von Myra in Kleinasien gegeben hat. Wann genau er gelebt hat, kann niemand mehr belegen. Und es ist nicht sicher, ob Nikolaus der richtige Name des Bischofs war. Es könnte sich auch um eine Ehrenbezeichnung handeln, denn der Name bedeutet im Griechischen Sieger des Volkes. Nikolaus könnte also jemanden bezeichnen, der das Böse besiegt und dem Volk gezeigt hat, wie das Gute siegreich bleibt.


Der Heilige gewann früh eine derart überragende Bedeutung, dass ihm die Apostelgleichheit zuerkannt wurde. Ein bulgarisches Sprichwort sagt sogar: "Wenn Gott stirbt, dann wählen wir den heiligen Nikolaus zu seinem Nachfolger!"

Ein Bischof der Kinder und für Kinder

Der heilige Nikolaus wurde zum Heiligen der Kinder. Er schenkt unerkannt und heimlich, so wie er in einer seiner Legenden drei Mädchen durch das "Einwerfen" von ererbtem Gold vor Schande bewahrt. Er legt als Heiliger seine Geschenke in ein "Nikolaus-Schiff". Das ist ein von Kindern gebastelter Gabenteller, der erst später durch Stiefel, Schuh, Strumpf oder Teller ersetzt wurde. Entstanden ist das "Schiffchensetzen", ein seit dem 15. Jahrhundert bekannter Brauch, durch das Schifferpatronat des Heiligen. In einer seiner Legenden rettet er nämlich Bootsfahrer. Nikolauskirchen finden sich daher in fast allen See- und Binnenhafenstädten.


Das Kinderbeschenken durch einen Heiligen, das auch im Hause Martin Luthers gepflegt wurde, war reformationstheologisch aber fragwürdig: Weil die Heiligenverehrung abgeschafft wurde, durfte natürlich auch die Kinderbeschenkung die Heiligen nicht mehr populär machen. Martin Luther erfand deshalb das Christkind, das nun zu Weihnachten die Kinder bescherte. Aber die reformierten Niederländer widersetzten sich. Sie feiern bis heute Nikolaus und bescheren immer noch an diesem Tag. Gleiches taten die Katholiken, bis im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert eine Brauchangleichung stattfand: Das "Christkind" wurde "katholisch" und der Weihnachtsbaum zog in die katholischen Häuser ein, dafür fand die Weihnachtskrippe Zugang in evangelischen Familien.


In der Zeit der Gegenreformation war das mittelalterliche Nikolausspiel zum Einkehrbrauchtum umgeformt worden: Nikolaus besuchte nun die Kinder einer Familie zu Hause in eigener Person und befragte sie, ob sie ihre Gebete verrichteten, ausreichendes religiöses Wissen besäßen und brav waren. "Liebe" Kinder erhielten Geschenke, "bösen" drohte die Rute oder gar der Abtransport im Sack. Der Nikolaus-Begleiter ("Knecht Ruprecht") erschien meist als "schwarzer Mann" an einer Kette und symbolisierte so das Böse, das dem Guten dienen musste.

Wie der Patron der Kinder zum Packesel für die Geschenkeindustrie wurde

Die Aufklärung schließlich brachte eine "Persönlichkeitsspaltung" des Nikolaus. Im kirchlich-katholischen Bereich blieb der Heilige erhalten; von ihm spaltete sich der "böse Nikolaus" ab, der Nikolaus und Knecht Ruprecht in einer Person darstellt. Für seine eigenen Kinder zeichnete der Frankfurter Arzt Heinrich Hoffmann den 1845 erstmals im Druck erschienenen Struwwelpeter. Diese von zeitgemäß bürgerlicher Anpassungs- und Drohpädagogik gespeiste Bildgeschichte greift die Figur des Nikolaus (nur noch am Namen und der roten Farbe des Mantels und der Zipfelmütze erkennbar) auf, füllt sie inhaltlich aber völlig anders: "Niklaus", "bös und wild", steckt Kinder in ein Tintenfass und macht sie "schwarz", statt ihnen zu helfen.


Die evangelischen Niederländer, die sich ihren heiligen Nikolaus von Luther nicht hatten nehmen lassen, importierten ihn in die Neue Welt. Aus Sinte Klaas wurde Saint Claus und schließlich Father Christmas, den die Coca-Cola-Werbung in ihren Hausfarben Rot-Weiß populär machte. In diesem Outfit wurde er nach dem Ersten Weltkrieg nach Europa reimportiert und mutierte hier zum Weihnachtsmann. Dieser Typ von säkularisiertem Nikolaus hatte im 19. Jahrhundert aber auch seinen deutschen Vorläufer: "Herrn Winter", einen alten Mann mit Kapuze, Weihnachtsbaum und Geschenken. Als Väterchen Frost macht er im "Ostblock" Karriere. Hier konnte er den Brauchbedarf befriedigen, war aber von den christlichen Festquellen gekappt.

Der wahre Nikolaus wartet auf seine Wiederentdeckung

Was ist geblieben? Der heilige Bischof hat es heute schwer. Sein kommerzieller Widerpart hat nach wie vor Konjunktur. Aber: Wenn die Menschen des Weihnachtsmannes längst überdrüssig sein werden, ist der heilige Nikolaus noch lange nicht reif für den Schrottplatz der Frömmigkeit. Er ist als Patron zahlloser Kirchen, Kapellen, Altäre und Orte überall gegenwärtig


Vielleicht gelingt es uns wieder, mehr Menschen das zu erschließen, was Nikolaus so faszinierend gemacht hat: Dieser Bischof ist einer, der anderen vormachte, wie man bei Gott heilig wird. Besitz dient ihm nicht zur Repräsentation oder als Machtfaktor, sondern ist ihm Geschenk Gottes, das dann Früchte bringt, wenn man es weitergibt. Schenken heißt bei Nikolaus: den Weg zu Gott frei räumen. Geschenkt wird nur vordergründig materiell - eigentlich wird das ewige Leben geschenkt. Und unsere Nikolausgeschenke sollen ein wenig an diese Art des Schenkens erinnern. "Heilig" umfasst bei Nikolaus auch noch das körperliche Heilsein. Der Schenkende erledigt keine religiösen Pflichten, kauft sich nicht Anerkennung oder Liebe, er gibt einen Teil von sich - und das ohne "Quellenangabe". Je mehr der verweltlichte Nikolaus als Weihnachtsmann zum Kaufanreiz verzweckt wird, desto reizloser wird sein Image.


Was könnte unsere Zeit mehr gebrauchen als eine Leitfigur, die jeder Käuflichkeit widerspricht?

Manfred Becker-Huberti
  aus: Geschichten und Lieder vom Schenken
 / Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken