Die zerlegbare "Allzweckwaffe"

Es ist etwas, das die meisten Bischöfe erst üben müssen: das Schreiten mit Bischofsstab. Und immer dran denken: Den Stab in die Linke nehmen.

Anders als üblicherweise der Wanderstab oder Spazierstock wird der Bischofsstab links getragen, damit die rechte Hand zum Segnen frei bleibt. Gar nicht so einfach, die Handhabe des Hirtenstabes, der wohl zu den signifikantesten Erkennungszeichen eines Bischofs zählt.

Personalisierte Hirtenstäbe

Jeder Bischof hat mindestens einen Hirtenstab. Einige sind "Spezial-Anfertigungen", die der Träger meist zu seiner Bischofsweihe von einem Goldschmied herstellen ließ. Üblicherweise ist der Stab dann mit Symbolen versehen, die dem Bischof persönlich wichtig sind oder die mit seinem Wahlspruch in Verbindung stehen. Aber viele Bischofsstäbe sind auch "geerbt". Das heißt der Bischof trägt den Stab von einem seiner Vorgänger oder einem verstorbenen Bischof, mit dem er in besonderer Weise verbunden war. Der Träger des Stabes stellt sich damit in eine bestimmte Tradition.

 

So trug Kardinal Karl Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, bei seiner Bischofsweihe in Mainz 1983 den Stab, den schon sein Vorgänger Bischof Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler (1850-1877) in der Hand hatte. In der Krümme dieses prunkvollen Stabes befindet sich eine Darstellung des heiligen Martin von Tours, Patron des Mainzer Bistums und des Domes.

 

Unterhalb der Krümme werden in kleinen Medaillons vier bedeutende Bischöfe der Mainzer Kirche dargestellt: Bonifatius, Rhabanus Maurus, Willigis und Bardo. Mit der Übernahme dieses Bischofsstabes setzte Lehmann ein sinnfälliges Zeichen dafür, dass er die Jahrhunderte alte Tradition Mainzer Bischöfe fortführen will.

Aus Holz geschnitzt

Familiärere Wurzeln hat der Hirtenstab des Limburger Altbischofs Franz Kamphaus. Sein Bischofsstab ist wie sein Bischofskreuz, das er an einem einfachen Lederriemen um den Hals trägt, aus Holz geschnitzt. Und dieses Holz stammt aus einem Eichenbalken im Kuhstall seines Elternhauses im westfälischen Lüdinghausen.

 

Es erinnere ihn, so hat Bischof Kamphaus einmal erklärt, an seine Eltern, denen er seinen Glauben verdanke und die in der Zeit der Nationalsozialisten "wie eine Eiche standen, als andere umkippten". In dem schlichten, hölzernen Bischofsstab kommt aber auch zum Ausdruck, was für Kamphaus charakteristisch ist: eine bescheidene Lebensführung und Heimatverbundenheit.

 

Bis ins 13. Jahrhundert waren Holz und Elfenbein die gängigen Materialen für Bischofsstäbe. Heute überwiegen meist Gold und Silber, die Hölzernen sind rar geworden. Neben Kamphaus hatte auch der unlängst verstorbene Pariser Erzbischof Kardinal Lustiger einen Bischofsstab aus Holz. 

Halt am "Baum des Lebens"

Ebenso ließ die Äbtissin des Zisterzienserinnen-Klosters Waldsassen, Mutter Laetitia Fech, ihren Abtstab aus Holz fertigen. Das war bei ihrer Amtseinführung 1997. Die damals 40-Jährige wollte einen Stab, in dem das ursprüngliche Bild des Hirtenstabes zum Ausdruck kommt. Zudem erinnert Mutter Laetitia an die Symbolik der Wurzel Jesse: "Ich halte mich am Baum des Lebens fest, in den Christus eingelassen ist. In seiner lebendigen Nachfolge möchte ich Hirtin für meine Mitschwestern sein."

 

Entsprechend ist ein kleines Silberkreuz als einziger Schmuck oben in der Krümme des Stabes eingelassen. Der Rest ist französisches Nussbaumholz und erinnert an die französischen Wurzeln des Ordens. "Mit solch einer klaren Schlichtheit kann ich mich am besten identifizieren", sagt Mutter Laetitia.

Oberhirte mit besonderem Stab

Den historisch vielleicht bedeutsamsten Bischofstab durfte Reinhard Kardinal Marx 2002 bei seiner Einführung als Oberhirte des Bistums Trier einige wenige Sekunden in Händen halten: den so genannten Petrusstab. Den soll einst der heilige Apostel Petrus dem ersten Trierer Bischof Eucharius als Unterpfand göttlichen Beistands überreicht haben. Mittlerweile ist das gute Stück allerdings in Limburg. Der dortige Bischof Kamphaus brachte zu Marx' Einführung den Petrusstab – dick in Packpapier verhüllt – nur als Leihgabe mit in Deutschlands älteste Diözese Trier.

Napoleon und das "Hirten-Schüppchen"

Ein historisches Kuriosum findet sich am linken, unteren Niederrhein: Dort schnellte die Zahl der Hirtenstäbe mit der napoleonischen Besatzung rasant in die Höhe – auf Napoleons Order hin bekam jeder Pfarrer, der mehr als 5.000 Seelen betreute, einen besonderen Stab an die Hand. Geistliche, die kleinere Gemeinden leiteten, konnten jedoch durch besondere Verdienste auch zu dieser Ehrengabe gelangen. Diese im Volksmund "Hirten-Schüppchen" genannten Stäbe enden oben in einer kleinen Schaufel, statt wie beim Bischof mit der Krümme.

 

Was genau Napoleon mit der Stab-Inflation bezweckte, vermag der Leiter des Niederrheinischen Volkskunde Museums Kevelaer, Burkhard Schwering, nicht eindeutig zu sagen. Doch es geht die "Legende", dass Napoleon den Pfarrern den Hirtenstab an die Hand gab, damit sie den Bischöfen ebenbürtiger würden. Ganz im Sinne der französischen Revolutionsideale: Gleichheit, Brüderlichkeit.

Handlich und harmlos

Praktisch muss so ein Bischofsstab im übrigen auch sein. Deshalb ist für gewöhnlich ganz unten ein Hartgummiteil zur Dämpfung von Erschütterungen montiert. Außerdem ist er in mehrere Teile zerlegbar, üblicherweise in vier. Denn ein Bischof ist viel unterwegs und den Stab hat er meistens dabei. Er muss also im Auto oder Zug leicht zu verstauen sein.

 

Bei Flugreisen kann solch ein kleiner, eigentlich ganz harmloser Bischofsstab-Koffer allerdings auch schon mal zum Problem werden. So geschehen bei einer Reise von Militärbischof Walter Mixa nach Mazedonien. Beim Umsteigen in Wien fielen den österreichischen Sicherheitsleuten beim Durchleuchten des Gepäcks dubiose metallene Gegenstände auf... Die vermeintliche Bombe entpuppte sich jedoch nach offizieller Rücksprache mit dem Heereskommando der Bundeswehr als zusammengelegter Bischofsstab und wurde dann doch weiterbefördert.

 

Weniger Glück hatte da nahezu zeitgleich der englische Bischof Christopher Rogerson von Alnwick. Die Fluggesellschaft British European stufte dessen Bischofsstab als "gefährliche Waffe" ein und verweigerte die Mitführung des zerlegten Stabes als Handgepäck. "Das ist wohl das erste Mal, dass ein Bischof mit seinem Hirtenstab als Bedrohung angesehen wurde", befand Rogerson einigermaßen fassungslos.

Segen mit durchschlagender Wirkung

Gleichwohl kann so ein Hirtenstab durchaus in den Händen eines Bischofs zu einem "zerstörerischen" Instrument werden – wenn auch mit bester Absicht... So vorgefallen in einem süddeutschen Bistum vor einigen Jahren: Der damalige Oberhirte kam in eine Pfarre seines Sprengels, um die dortige neue Kirche einzuweihen. Zur Zeremonie gehört es dabei, dass der Bischof mit seinem Hirtenstab gegen Türe der Kirche schlägt. Nun war in besagter Kirche die Türe aus Glas – und der Bischof meinte es sicher besonders gut und schlug entsprechend feste zu. Der Rest ist schnell erahnt und schneller noch erzählt: Unter des Bischofs wohl gemeinten Schlägen ging die Tür zu Bruch. Merke: Ein per Hirtenstab erteilter Segen hat mitunter durchschlagende Wirkung.

 

In einzelnen, ganz besonderen Fällen kann die bischöfliche "Allzweckwaffe" Hirtenstab übrigens sogar zu einem echten Wunderding werden – im wahrsten Sinne des Wortes. Der Legende nach vertrieb der heilige Patrick mit seinem Bischofsstab alle Schlangen aus Irland. Da sieht man mal, wozu so ein Hirtenstab doch alles nütze ist. (Karin Wollschläger)